Werke & Tage

Samstag, 27. Oktober 2007

Zeitumstellung

Es ist wieder so weit. Heul, mecker, moser, maul. Was ist los? Die Uhren werden umgestellt. Ja und? Ach, mein Biorhythmus ist wieder ganz durcheinander. Jammern und Zähneklappern aller Orten! Was für eine Komödie, man mag es nicht mehr hören. Nicht allein, daß man sich wieder diese alberne Ratlosigkeit anhören muß („Äh, im Herbst stellt man die Uhr doch zwei Stunden zurück und im Frühjahr nur eine, oder?“), landauf landab die verrücktesten Eselsbrücken zu hören bekommt („Ganz einfach: Im Herbst werden die Tage kürzer, also werden die Stunden auch, äh … oder so“), werden Jahr für Jahr die Hypothesen darüber, wie sich die Zeitumstellung für das persönliche Erleben auswirkt („Wenn die Uhr eine Stunde vorgeht, wird dann mein Kaffee schneller kalt?“) oder für die Umwelt („Die Vögel wissen ja gar nicht mehr, wann sie singen sollen“; „Die längere Sonnenscheindauer fördert die Klimaerwärmung“), immer, nun ja, verwegener.
Am schlimmsten weil lächerlichsten ist aber der Verweis auf den sogenannten Biorhythmus („Ich brauche Wochen, bis ich wieder normal schlafen kann“). Es ist wirklich erstaunlich, wozu die schiere Einbildung so in der Lage ist. Daß es so weit mit dem Biorhythmus nicht her sein kann, zeigt folgende kleine Überlegung:
Man stelle sich einmal mal vor, es käme eine Behörde und würde folgendes vorschreiben: Jede Nacht von Samstag auf Sonntag werden die Uhren bundesweit zwei stunden zurückgestellt. Jede Nacht von Sonntag auf Montag werden sie dann wieder um denselben Betrag vorgestellt. Undenkbar? Im Gegenteil, bereits jetzt freiwillige Praxis. Man nennt das „Ausschlafen“. Biorhythmus? Da werden Nächte durchgezecht oder -gearbeitet, da steht man mal zum Joggen früher auf, mal bleibt man liegen, dann hat man Gleitzeit und besucht Mittwochs morgens Tante Erna und geht dafür Donnerstags morgens zwei Stündchen eher zur Arbeit, da verlängert man sich Winters den Tag mit künstlichem Licht, da erhebt man sich für die Geschäfts- oder Urlaubsreise um vier aus den Federn, da wird geschoben und gedrückt und genmacht und getan, ohne daß irgendwen Sonnenstand oder die Jahreszeit sonderlich interessieren würde. Biorhythmus?
Und wenn jetzt einer daherkommt und oberschlau darauf verweist, daß Kühe enorm unter den verschobenen Melkzeiten zu leiden hätten, der Biorhythmus mithin eine nicht einfach wegzuwischende Realität sei, so frage ich zurück: Bin ich ein Rindvieh? Eine Kuh macht auch nicht Freitags und Samstags die Nacht zum Tage und am nächsten Morgen den Tag zu Nacht; eine Kuh schläft auch nicht Sonntags aus; eine Kuh pocht nicht auf ihren Biorhythmus, nur um dann zu behaupten, Sonntags sei es nicht so schlimm; wenn eine Kuh einen sogenannten Biorhythmus hat, dann hat sie den jeden Tag und nicht nur dann, wenn es ihr gerade in den Kram paßt. Mit dem Biorhythmus mag es sich verhalten wie es will: Wenn man ihn hier nicht ernstnimmt, wird man sich dort nicht echauffieren dürfen. Wer angesichts der Zeitumstellung über seinen gebeutelten Biorhythmus mault, muß bitteschön auf sonntägliches Ausschlafen verzichten.
Sehen wir es doch mal nüchtern. Angenommen, man steht am Sonntag der Umstellung um acht Uhr (alter Zeit) auf und geht am Abend desselben Tages um dreiundzwanzig Uhr (alter Zeit) schlafen. Egal ob vor oder zurück: Die Umstelldifferenz von einer Stunde verteilt sich also auf fünfzehn Stunden. Das macht vier Minuten pro Stunde. Machen Sie es doch das nächste Mal so: Statt die Uhr eine Stunde auf einmal vor- oder zurückzustellen, machen Sie es häppchenweise, zwischen acht Uhr morgens und elf Uhr abends jede Stunde vier Minuten.
Und zusammenaddiert: Im Winter steht man eine Stunde später auf, im Sommer eine früher. Punkt.
Und die Singvögel? Die werden sich dran gewöhnen.

Dienstag, 2. Oktober 2007

...

Oder neulich, auf einem Gang an den Pferdekoppeln oberhalb von Nettekoven. Ich hatte Schlehen gesammelt, am einzigen Strauch, der welche trägt dieses Jahr, eine kleine Tüte voll; dann trugen mich die Füße fort wie von selbst, in kleinen, schwebenden Schritten, über den aufgeplatzten Asphalt des Fahrwegs, zum Wald. Es war eine Stunde der Wachheit, wie ich es nenne. Am späten Nachmittag, nach Kaffee und Ruhen, im Freien, auf dem Feld oder einem Waldweg, geschieht es manchmal, daß die Atemzüge sich verdichten, die Schritte wie Pendel fallen, die Widerlager der Arme in knappster Genauigkeit auf und nieder schwingen. Dann ist die Luft dünn und gespannt, von Geräusch und Licht flackernd. Die Finger zucken nach Berührung, nach Erproben, die schrundige Borke einer Eiche, die Schuppen einer Föhre, einen Zapfen, eine Handvoll roter Sand, einen abgeknickten Zweig; der Blick schwirrt in den faserigen Höhlen der Hecken, Wegraine und brombeerumspindelten Zäune, Hände in den Taschen bleibe ich stehen, atme tief aus in die Ebene hinein, mit Stadt, Kirchturm und einem Heißluftballon darüber, lausche auf das Knirschen eines Fahrzeugs aus dem Waldparkplatz, auf Hufschläge und Kinderstimmen, und alles summt von verborgenen Geschichten. Stockschläge fallen aus der Tiefe des Pfades, und ins Gegenlicht hingehaucht, schwankt da, funkensprühend, die Gestalt eines Greises, der vielleicht gestern glaubte, seine Enkelin beerdigt zu haben, die gar nicht seine Enkelin ist. Ein junger Mann schlägt zaghaft die Autotür zu und wartet, die Augen beschattend, auf eine Frau, mit der er verabredet ist. Sie wird nie kommen. Jemand geht zwischen den Buchenstämmen, und ehe er verschwindet, blitzt ein Spaten kurz auf. Man betritt eine Hütte und findet auf eine Pritsche ein Photo von sich selbst.
Nur in einer solchen Stunde der Wachheit ist es je gelungen, einen Ort zu betreten, den ich mit einer Geschichte, wo sie als zitternde Spiegelung an die Oberfläche der Welt trat, gemeinsam hatte für die Dauer einer Betrachtung; einen Ort, an dem sie sich mir entgegenbog, so daß ich sie berühren konnte, ohne wirklich in sie einzudringen, bis ich schon wieder weg war, und das Fahrzeug, der Alte, das Kind, das aus dem Fenster sprang und zwischen den Spalierobstbäumen davonhuschte, wieder abgetaucht waren in den Raum ihrer Verzweigungen, still und unbekannt, an denen ich nicht mehr teilhatte.

Montag, 1. Oktober 2007

Ein Reh

Als ich einbog vom Hauptweg in den dämmrigen Seitenpfad, stakste da wenige Schritt voraus ein Reh. Es sah mich, erstarrte und fiel im Erstarren zurück ins Unüberschaubare des Pfadrains, wo es augenblicks mit Strauchwerk und Blättergewirr und den wuchernden Schatten am Weg verwuchs. Eins geworden mit dem Grün, blieb es darin unkenntlich, sonlange es nicht ein Zucken des Ohrs, eine Wendung des Kopfes, ein unsicherer Schritt wieder herauswarf und in der Bewegung vereinzelte.
Auch ich blieb still und probierte, ob es mir nicht ebenso gelänge, mit dem Holunder und den Brombeeren neben und über mir zu verwachsen. Eine Fliege kitzelte mich an der Nase. Ein Tropfen schlug mir auf die Stirn. Ich blieb ganz still, die Augen unverwandt auf die Stelle gerichtet, aus der heraus mich das Reh zweifellos scharf beobachtete, beroch, belauschte; zwar sah ich es nicht; doch spürte ich seine gesammelte Aufmerksamkeit auf mich gerichtet wie einen hellen Strom. Meine Fingerspitzen wurden taub. Ich fragte mich, ob es mich atmen höre, wie es in meiner Nase röchelte, die Jacke knisterte, wie selbst das Blut in den Adern noch zu lärmen schien. Ich kam mir sehr laut vor.
Dann, ohne daß ich mich erkennbar geregt hätte, knackte plötzlich etwas, die Farne und die Weißbuchenzweige wippten. Schatten und Lichtwirrung gerieten in Bewegung und verdichteten sich zu einem staksigen Sprung, mit dem das Tier ausbrach, aufflog, ins Dickicht stürzte und hinter zurückschlagenden Zweigen im nu verschwunden war.
Wer weiß, was es plötzlich erschreckt haben mochte, den Aufschlag von Sternenstaub, das Rascheln einer Spinne im Netz, oder einen meiner finsterlauten Gedanken.

Mittwoch, 19. September 2007

...

Hier war er zuhause, ganz: wo der regen gleichmütig fallend jedes geräusch zudeckt. Über den kaffee gebeugt lauschte er auf die kleinen abweichungen und details in der großen strömenden eintönigkeit vor dem fenster. Je länger man hinaushörte ins scheinbar gleichförmige, desto mehr einzelheiten erwuchsen dem ohr: metallisches ticken, rhythmisches klatschen, manchmal klirren wie von ketten, darunter, dazwischen, ein plätschern von bächen und rinnsalen auf asphalt oder stein, dann wieder das blubbern der regentonne, das knallen wuchtiger aufschläge auf autodächern oder wellblech, wie es scharf aus dem umgebenden klanggewoge herausbrach; ein mülltonnendeckel klickte leise, und glockenhell trafen tropfen in schneller folge aus einem überlaufrohr fallend auf ein balkongeländer.
Das alles bildete ein geflecht von wechselwirkenden stimmen, die in einem gleichgewicht zusammenkamen, dessen schwerpunkt sich immer wieder in feinsten abmessungen verschob und so mal die eine, mal die andere stimme herausstellte. Eine topographie des regens entstand im ohr, das platschen, klirren prasseln, brausen und rauschen erzeugte dem zuhörenden landschaften aus unterschiedlich nassen flächen und klangkörpern, rinnen, fließgeschwindigkeiten, wellenmustern und -linien, blasen und schaum. Ein baum wuchs da auf, vor dem fenster, aus in verschränkung einander begegnenden, in verästelungen ausgreifenden, fortstrebenden und wieder ineinander gemengten klängen, die den raum heranholten, und alles überflüssig machten, was weite, was entfernung bedeutete. Alles spielte sich hier ab, ein drama, das allein aus dem laut und leise, dem fächer und den schichtungen des klangs seine spannung und kraft bezog.
Bis die stimmen einander ablösend nacheinander verstummten, die blätter, der asphalt, später auch das ticken der regenrinne. Auf dem kopfsteinpflaster dröhnten mittlerweile wieder die reifen, Schritte hämmerten, eine Wagentür schlug. Es blieb noch das hallende gurgeln, mit dem der gully das zusammenströmende wasser aufnahm, während die wand gegenüber im hof jäh aufflammte im sonnenschein.




Freitag, 7. September 2007

Zwischendrin

Es ist eine Zwischenzeit, diese Wochen zwischen Sommer und Herbst, in keiner Jahreszeit daheim, in keinem Namen. Nicht hier, nicht dort, nicht woanders und doch: weit weg. Der Holunder, die Birke, der Hasel, alles grün, als riefen sie einander zu, diesmal, diesmal schaffen wir es. Dabei knirschen schon wieder die Nüsse aufspringend unter den Autoreifen, wackeln die Firste in den gefüllten Wassertonnen. Nichts hält einen drinnen, aber wie soll man das nennen, was einen hinaustreibt, und was für eine Farbe zieht man dazu an? Niemandszeit, ein Asyl, schiffbrüchige Stunden. Der Zeitungsleser blickt auf die Terrasse, wo zwei Elstern Sommer spielen. Etwas hat uns entlassen in Tage des Überschusses, denkt er, Überschusses an Zeit.




Dienstag, 4. September 2007

Ein Anruf

Anruf von E.S. Plötzlich habe ich wieder ein anderes Leben gehabt, bin ich aus einer ganz anderen Richtung hierher gelangt. Es war ja nicht alles immer so wie jetzt. Und es kommt alles irgendwoher. Ein Geschmack, ein Duft flackert da auf, eine bestimmte Farbe, ein Ton über den Fenstern, der Geruch einer U-Bahnhaltestelle, der Klang einer Balkontür. Merkwürdig. Man verliert so viel aus den Augen, treibt, läßt sich treiben, wacht morgens auf, und noch einmal und noch einmal, und dann kommt ein Anruf und man stellt verblüfft fest, man hat es schon vergessen, und keine zwei Atemzüge dauerte es, um lange her zu sein. Als wäre ich nicht, jetzt, wo ich dies schreibe, bedingt und geformt auch von diesen Jahren, und von denen davor und davor … von den Jahren, aus denen mich dieser Anruf erreicht, die doch so viel näher sind als die ganz frühen. Als sei ich nicht ihnen verdankt, den Wurzeln: Nie ist man vollumfänglich man selbst, nie ist man in einem Augenblick und Gedanken die ganze Geschichte, die um sich selbst weiß.




Donnerstag, 23. August 2007

Blatt

Ein leiser knall in der morgenfrühe, die sich selbst noch nicht wiedererkannt hat, so liegt es beim aufschließen vor dem fuß, das blatt, rot, gesprenkelt von feinsand, aller botanischer namen ledig, ein rundes oval verästelter farbe. voll schärfe spaltet es die nachbildungen des steins; wo sein licht nicht hinfällt, wird es schlagartig herbst in den läden und buden. gierig hat es vom regen genommen; jetzt ist es satt und verfärbt von wonne und wahrsagen und leuchtet mit filigranen dämmerungen sein asphaltenes bett aus.




Mittwoch, 11. Juli 2007

stumm

Also, so macht das hier keinen Spaß mehr. Wenn ich nicht gelesen werden wollte, würde ich wieder auf Papier --

Ist da wer?

Dienstag, 10. Juli 2007

...

Silberahorn zwängt die Klingen der strebsamen Flügel

zwischen Wolke und Bahn: noch gibt es Raumes genug.





Montag, 9. Juli 2007

...

Es ist gar nicht schlimm, sich etwas vorzumachen, solange man nur dauerhaft darin erfolgreich ist.



VOCES INTIMAE

... for we have some flax-golden tales to spin. come in! come in!

Kommt herein, hier sind auch Götter ...

Epistolae electronicae:

talapenthea_thymon ad hotmail punctum com

Spurensucher

 

Web Counter-Modul


Marbach

Dieses Weblog wird durch das Deutsche Literaturarchiv Marbach archiviert.

Metron ariston

Pflichtnennung


Als wären nicht zweimal die Kräfte
An habent et somnia pondus
Astartes Lächeln
Colourless green ideas
Daß alles für Freuden erwacht
Dem geschah auch Lieb durch Liebe nie
Die Stadt am Ende des Jahrtausends
egregie dicta
Fasti
Flaschenpost
hemerolog
In Nemore
Logolog
Ludus Latinus
Mores Ferarum
Nicht mit gar zu fauler Zungen
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
development