solstitium
. weist ihr erneuerter pfeil über die tiefe hinaus.
Ein Traum, der die Frage ausstellt, ob wir uns nicht küssen dürfen. Ein Schuttkegel, klettersteil, in einem Innenraum, darauf bewegen wir uns unsicheren Schrittes. Steine lösen sich, Geröll und nasser Sand geraten fortwährend ins Rutschen. Oben ich, weiter unten sie, die ich küssen könnte, wir könnten uns, und oh, es wäre so süß. Aber etwas trennt uns. Zu den Voraussetzungen des Traums gehört ein Verbot. Ein unbegründetes Es-geht-doch-nicht. Ich klettere hinunter. Wir sehen uns nicht einmal an.
Eine Amsel pickt am Schlaf. Erwacht mit ungeküßter Sehnsucht, haltlos.
die platane ballt ihre hundertarmigen fäuste, und der himmel voller rauch, man könnte meinen … man könnte meinen …
jetzt hab ich es vergessen.
stimmengeraune: wie ist es süß. sich da einfach einsinken zu lassen, in ein weiches gewebe, eine matte, ein netz … aus stimmen. die platane steht still, die spinne hebt ein bein. man sagt, die sonne werde scheinen am nachmittag. man sagt, die mitarbeiter seien in streik gegangen, man bedauert, versehentlich sei ein kind getötet worden (ups, ’tschuldigung), undsoweiter, am bahnhof spucken die ausflugsschüler kaugummibrei, später, zu hause, sitzt man ein wenig, nachdem man geplaudert hat mit der süßen mitbewohnerin, man sitzt, und die fenster sinken vor müdigkeit in ihren fassungen zusammen, stellen trübe schleier zur schau und vibrieren anmutig, vom stimmengemurmel wie vom lachen freundlicher gespenster.
irgendwann dann der regen. fühlt sich an wie ein freitag.
dieser augenblick kurz vorher, … zwischen schweben und fallen … dieser augenblick, dieser splitter, den der sekundenzeiger abschlägt, dieser moment, wenn die geräusche plötzlich durchscheinend werden, dieser augenblick, wo die schlacke plötzlich über die augen rieselt … wenn die fingerspitzen ertauben und die zunge sich in einen merkwürdigen winkel des gaumens eingerollt hat, dieser augenblick, wo jemand spricht, wo jemand bereits gesprochen hat, wo jemand etwas eindringliches schon gesprochen hat, dieser augenblick der stille danach, wo plötzlich alles ganz nah ist, dieser augenblick, wo die haut riesig sich aufwellt, wo plötzlich ein bein bis in den hof hinabreicht, während jemand in der tür steht, während jemand in der wand steht, in der wand, aus der wand, ein wort sich aus der wand löst und tropft, tropft, tropft, ein dicker strom, während ein wortstrom aus einem einzigen großen– …, ein wortbrei, eine klangwolke, eine zähe pechige wolke aus trägem wort, … während die wände von einem wort verbogen sind, und der raum sich ausschütten will vor lachen, über ein wort, über ein totes wort … tot wie holz … und die beine in den teppich hineinwurzeln, und die finger sich in eine spinne verwandeln, die davonkrabbelt ohne vom fleck zu kommen, und der atem flacher wird, während jetzt, plötzlich, über der blankweißen wand, ein schnappen auffährt, während ein gewaltiges brüllen ganz ganz leise wird, zwischen daumen und zeigefinger, das anreißen eines streichholzes, ein herzschlag, ein atemzug, ein speichelfaden, der wieder zurückführt zum anfang, der wieder zurückführt zum wort, das wieder zurückführt zur enter-taste, die wieder zurückführt in den augenblick vor dem augenblick, da man mit dem kopf auf der tastatur aufschlägt.
Heute, am Vorabend, beschäftigt mich nicht so sehr die Prüfung selbst, als vielmehr die weiteren Folgen der unumstößlichen Tatsache, daß es mit dem Studieren dann vorbei sein wird.
Wieder geht eine Zeit zu Ende, in der ich, wenn auch viel weniger stark durchdrungen als beim ersten Mal, dennoch aufgehoben war in einem System von Bezügen, Bedeutungsnetzwerken, Symbolaktualisierungen, Symbolverhandlungen. Ein Modewort fällt mir ein: Diskurs. Ich habe an einem Diskurs teilgenommen, und das bedeutet: Ich war in einer Sprache zuhause, und in einer Welt, die nur durch diese Sprache lebte, weil sie von dieser Sprache geschaffen wurde. Mit dieser Sprache werde ich nun allein sein. So etwas tut weh wie der Verlust einer Heimat. Man hat ein Häufchen Erde dabei und die Kinderlieder und Aufzählreime, aber mit wem könnte man sie noch singen? Man krümelt die Erde durch die Finger bis sie ganz fein geworden ist, aber irgendwann wird sie den Geruch nach Ferne und Fremdheit angenommen haben.
Nicht nur dies, die Begegnungen, so flüchtig und oberflächlich sie auch waren, werden mir fehlen; wiedersehen werde ich kaum jemanden; Freunde sind keine geblieben. Plötzlich fehlen mir diese Menschen, und sei es auch nur, weil sie eine Stelle waren, wo es einen Knoten mit dem Außen gab, einen Wirbel, eine Überschneidung. Das einzige, das mir bleibt, ist die Welt, in die ich die letzten vier Jahre eingetaucht bin, und die ich nun in mir trage, wie das Häufchen Erde. Wieder verschwindet ein mit anderen geteilter Punkt des Außen-Ichs, krümmt sich eine Berührungsfläche in sich zusammen und entläßt mich zurück ins Binnen-Ich, wo ich allein bleibe mit meiner einsamen Kunst.