Werke & Tage

Donnerstag, 21. Februar 2008

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Ich liebe diese eingefrorenen Blumen, abseits des überall aufschießenden Lichts, in den schwindenden Wegrändern, wie gebannt und zum Stillstehen gebracht von einer anderen, urvernünftigen, selbstgenügsamen und leiseleise tapsenden Zeit.
Überall braust es jetzt. Der Frühling ist die schnelle Jahreszeit. So schnell, daß man nicht mehr nachkommt. Die schnelle Jahreszeit, immer schon woanders, weiter, fort, flimmernd, aufgebrochen, abgefahren, schnell, so schnell, daß man strampelt und strampelt in all dem Brausen und Leuchten und Zwitschern und trotzdem immer zu spät ist. Verpaßt, vorbei, für dich diesmal wieder nix. Die Stimmen der Amseln süß so süß, daß es schmerzt, und noch schlimmer, weil man glaubt, man müßte es nur aber was denn nur? enträtseln, dann … dann … hätte man es endlich, wüßte es, dieses unmenschliche Singen und Jubeln. Aber man versteht es ja nicht. Man öffnet das Fenster, daß Wärme Licht und Schall hereindringen, und glaubt, auf der Stelle sterben zu müssen, wenigstens, sich auflösen. Könnte man es nur. Man bleibt am Leben und muß hören und riechen, am riesigen, tönenden, duftenden Draußen, wie es da jubelt: Selbstvergessen, irr, an der Grenze zum Sturz in flackernde Auslöschung, und doch: Ganz bei sich, unbeirrt und: In-der-Zeit. Das ist so verschwenderisch, als gebe es ja von ihr immer genug, von der Zeit, wie töricht, das Gegenteil ist doch der Fall, und es ist nie genug, je schneller und verschwenderischer, desto weniger bleibt, und desto mehr muß man verpassen und abermals verschieben, auf einen urvernünftigen Frühling. Den es nie geben wird.
Schon seit Wochen sticheln die Meisen. Vor zwei Tagen der erste Buchfink. Am nächsten Tag dann alle wie auf Kommando. Sind spät dran dieses Jahr.
Es wird Frühling.
Die große Zeit der Versäumnisse.

Dienstag, 19. Februar 2008

Beim Laufen

Manchmal glaube ich, ich träume nur deshalb davon, ein preisgekrönter Erfolgsschriftsteller zu werden, um irgendwann einmal die Genugtuung, nein, den Triumph zu fühlen, den es mir verschaffen würde, einen hochdotierten Literaturpreis abzulehnen.

Freitag, 11. Januar 2008

Lektüren 2007

In meinem Leseverhalten hat sich in jüngerer Zeit eine Konstante herausgebildet, die den Ort oder ganz allgemein den Kontext der Lektüre betrifft. Es ist nämlich so, daß ich bestimmte Bücher nur in bestimmten Situationen lese. So sind die Bücher, die ich am Küchentisch während meiner Mahlzeiten (die ich meist allein zu mir nehme) lese, andere Bücher, als diejenigen, die ich vor dem Schlafengehen oder in Bus und Bahn lese, und auch von ganz anderer Art, wie der Liste zu entnehmen ist. (gerade fällt mir auf, daß diese drei: Verkehr, Bett, Essen, fast ausschließlich die einzigen Lesekontexte sind. Jedenfalls lese ich selten „einfach so“, sondern meist, weil es nichts anderes zu tun gibt, etwa, weil man darauf wartet, daß es weitergeht, man irgendwo ankommt oder der Zug endlich einfährt. Eine Ausnahme bildet Fachliteratur, die ich lesen muß, und zu deren Lektüre ich mich gezielt hinsetze. Aber das ist kein Lesen, das ist Arbeit. Ich scheine für zweckfreies Lesen wie etwa Belletristik eine innere Rechtfertigung zu brauchen, eine Belohnung nach abgeschlossener Arbeit etwa, oder eben, weil ich gerade nichts Besseres zu tun habe. Bedenklich.) Jedenfalls habe ich meine Lektüren 2007 auf zwei Listen verteilt, die diese Situation nachzeichnen.
(Mit % bezeichnete Bücher blieben liegen.)
Am Eßtisch: Noch zwei Worte zu einer Art von Bewertung: Was mich wirklich überwältigt hat wie selten ein Buch: Peter Handkes „Mein Jahr in der Niemandsbucht“. Über diesen Eindruck habe ich bereits geschrieben. Das zweite ist Javier Marías’ „Dein Gesicht Morgen“. Da schafft es ein Autor, ein einziges, kaum zehn Minuten dauerndes Ereignis so intensiv vorzubereiten, anzukündigen, anzudeuten, ja, anzudrohen, und das 400 Seiten lang, daß der Buchrücken Schweißflecken abbekommt. Und das in einer sicheren, modernen, unaufgeregten und doch ausdrucksstarken Sprache, ein- aber nicht aufdringlich. Dies höchste Erzählkunst zu nennen wäre untertrieben.
Ich habe weniger Abgebrochen im letzten Jahr. Entweder hatte ich mehr Durchhaltevermögen, was ich, angesichts von Unleserlichem wie „Blanche oder Das Vergessen“ oder „O άγγελος της στάχτης“ nicht für unwahrscheinlich halte, oder ich hatte einfach ein glückliches Händchen bei der Auswahl. Vermutlich ist beides der Fall.
Eine weitere Entdeckung war Rushdie, dessen „Midnight’s Children“ ich im Sommer las. Beeindruckend in Sprache und Stil, ein Feuerwerk an Einfallsreichtum, Skurrilem, Zauberhaftem, Magischem, daß es dröhnt und quietscht und kracht. Allerdings muß man sagen: In der zweiten Hälfte wäre weniger mehr gewesen, da franst es nämlich.
Und noch eines, nein zwei: Dostojewskij lese ich nicht mehr. Das ist mir einfach zu blöd. Ich muß mir allmählich nicht mehr sagen lassen, was ein gutes Buch ist. Und das „Rubinhalsband“ von Henning Boetius ist einfach nur stuß.
Übrigens lese ich gerade „Away“ von Jane Urquhart: Eines der Bücher, die nur solange begeistern, wie man sie liest. Eine kurze Pause genügt, und die Begeisterung ebbt ab. Schade, daß die Handlung so merkwürdig und unglaubhaft ist. Die Sprache hätte einen schöneren Plot verdient (oder weniger davon). Gerade beendet habe ich Passig & Scholz „Lexikon des Unwissens“. Mehr darüber nächstes Jahr.
Ach noch etwas: Empfehlungen für 2008?

Freitag, 21. Dezember 2007

Solstitium (consecutio temporum)


Das Gewicht der Schmerzlosigkeit, des Gewicht der Leere.

Als wäre die Jahre danach alles, was uns einmal verbunden hatte, nur mehr in Schmerz ausdrückbar gewesen, fühle ich nun die vielleicht schönste Zeit meines Lebens (ganz sicher sind wir nicht; es könnte auch die zweitschönste sein) zu einem Nichts verblaßt. Ohne den Schmerz hat das alles keine Geltung, war nur als Nachleiden noch gültig, nur so lange, nur vorläufig. Zuerst sehnte ich mich nach E., jetzt sehne ich mich nach dem Schmerz. Eine Zeit nach aller Zeit, wo?, nirgends. So verliert man selbst den Verlust noch, die gelebte Zeit. So verschwindet das Leben hinter einem, schließt sich, ist fort, hat es bereits nie gegeben.

Selbst ihr Name nicht, gilt nicht mehr. Wenn ich sie denke, nunmehr unter dem Gewicht des Schmerzmangels, denke ich sie nur noch als Bild, als Haar, als Mund, als Sprache, als Klang, als Flöten, als Tierlaut. So wie ich neulich zusammenzuckte, abends am Südbahnhof; sie in der Tiefe der gelben Laternen zu sehen meinte; ohne Sprache dachte ich sie; das Aufzucken im Innern namenlos, wortlos das Erkennen.

Die Schwierigkeit besteht darin, daß ich ja nicht mehr weiß, wen ich da eigentlich geliebt haben soll, noch viel weniger, wer das ist, die mir nach der Liebe den Schmerz eingab. Ich kann mich ja kaum noch erinnern; was einen ganz neuen Schmerz bedeutet, Schmerz über den Verlust eines Schmerzes, einen Schreck wie beim Sturz, wenn das letzte haschende, panische Zucken nur Luft, Leere, haltlosen Schwung zu greifen bekommt. Kein Tempus ist hier richtig, ich habe E. geliebt und ich liebe E. sind gleichermaßen zu widerlegen und zu bekräftigen. Um diese Geschichte zu formulieren, jenseits jeder Chronologie nachzubuchstabieren, bedürfte es einer völlig neuen Grammatik, einer Sprache, die Erinnerungen besser abbilden, ihre Lebendigkeit und Bedeutung ebenso wie ihr Verblassen, ebenso wie ihren weitausfallenden Schattenwurf besser umreißen könnte.

Ich versuche, es zu finden, finde keins: ein Tempus, das irgendwie von jener vergangenen und zugleich unvergänglichen Zeit handeln würde, ein Tempus, das die Kraft hätte, sich auf dieses Niemandsland von erinnertem Leben und verlebter Erinnerung zu beziehen, jenes Erinnerungsraums, in dem ich absurde Römische Dichter lese und morgens die Kaffeetasse mit kaum vernehmbarem Hallen aufs Klavier absetze, hinausblinzele in das Quietschen der Güterzüge, während du noch schläfst, das Gesicht in den Kissen, Strudel von Haar darüber, und dein Name noch E. ist.

Freitag, 14. Dezember 2007

Wiedersehen am Südbahnhof

Gestern hätte ich dich fast gesehen, wie du, unverkennbar in deinem grünen Mantel und mit dem rosa Schal, der sicher immer noch nach Haut riecht und Haar (wenn du ihn noch trägst), in Begleitung die durchlichtete Treppe hochkamst, jenseits der Menschen am Bahnsteig, und für Momente so grün und rosa und schmal und schwarzhaarig, daß kein Zweifel bestand, noch zumal du wie erschrocken stehenbliebst, mit einem Ruck, schien es, nachdem du mich (sicher?) gesehen hattest, die Hand deines Begleiters ergriffst, etwas zu ihm sagtest, ungeduldig, ja sicher ungeduldig („das erklär ich dir später“) und ihn wieder hinabzogst in die Helle des Treppenaufgangs, wo ihr gemeinsam verschwandet.
Ein Schreck auch für mich, dieser vertraute Gang, das unverkennbare Schlenkern der Füße, dein blasses Gesicht, als könnte ich bis hier hören, wie du die Nase in der Kälte hochziehst, und dann die Flucht, der Schmerz und der andere, und am Ende, im Zug, als ihr doch noch eingestiegen wart, da warst es gar nicht du.

Freitag, 23. November 2007

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Schwäne, Röhricht und Burgberge. Nach dem Erwachen in die Scheiben blicken, ins Innere dahinter und davor, und die Märchenschichten dazwischen abtupfen, abklopfen, prüfen. Auf die Verschlungenheiten der Korallen achten, Karten aufnehmen, den Spuren eines Schneeleoparden folgen wie man einem Yeti folgt, so beginnt das Lauschen. Wege durch den Forst, das stumme Zermahlen eines Fliegenpilzes, Wärme von Amanitin unter der Haut, Blaualgen an den Knöcheln. Wo die Folien sich treffen, finster, blau, glatt, gelöchert, fließend, splittrig, da knistert es von Linien die ins Baumsein entstreben und verwuchern, da muß man ordentlich mit dem Fuß wackeln und die Zunge anstemmen, daß nicht alle Wände und Behälter ins Rutschen kommen und mißtönig zwischenrufen, ordnungslos und wild, wie Landkarten.
Mit geschlossenen Augen dann die Anrufungen vornehmen, den Erscheinungszauber anstimmen, den Logogryphen, Hypnobanten, Oneiropoden Handschweiß und Ohrspeicheldrüse darbieten. Wenn man Glück hat (aber was ist Glück? Das gnadenvolle Verschmähen eines Logophagen), bleiben sie ein bißchen. Ihr Verschwinden bleibt meist unbemerkt, es sei denn, ein Traum war noch wach, was bekanntlich selten ist.



Mittwoch, 21. November 2007

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Diese feinen Bruchmuster, Netzsplitter, Patinae, Jahresringe. Wieder in die alten Wirrwege und Leuchtgärten mit ihrem Abenteuerflimmern hinabsteigen. Daten, jahreszahlen, Erscheinungsmonate alter Ausgaben des GEO-Magazins, die, ich weiß nicht genau, was, aufbewahren. Wie ein Tagebuch. Eines, das nicht ohne weiteres lesbar ist; etwas, das auf tieferen Sinn verweist, und unter der Oberfläche aus bekannten Bildern (ein altes ostfrisisches Bauernhaus mit Bettkasten; ein gekreuzigter Rabe im Baskenland; eine nachgebaute spanische Galeone; Wissenschaftler in gelben Schutzanzügen zwischen Rosttrümmern auf dem Mururoa-Atoll), die wegen ihrer Bekanntheit so verstörend sind im Detail, wie ein gealtertes Gesicht, und unter dieser Oberfläche: die Bruchmuster, die feinen Linien, das Abgeplatzte, das Gesplitterte und Gebrochene.
Es ist ein zwiefacher Verweis auf meine eigene versunkene Welt, meinen eigenen Untergang: Es bildet ab, was war, dessen Zeitzeuge ich hätte sein können. Es zeigt mir die Kulisse oder Stücke davon, oder eine mögliche Kulisse, für mein eigenes Drama von damals, und damit verweist es mich zurück, der ich ja damals diese Kulisse wahrgenommen habe oder hätte wahrnehmen können. Und zum andern bringt es mich durch die Lektüre zurück und verbindet mich mit jener Zeit, wo ich dieses Heft zum erstenmal durchblätterte, oder in eine Zeit, wo ich solche Hefte ganz allgemein durchblätterte, und zwar dann, als sie frisch waren und keine versunkene, sondern eine aufbrechende Welt abbildeten und nichts darauf schließen ließ, daß sie einmal von Netzsplittern und Bruchmustern überlagert sein würden.





Mittwoch, 7. November 2007

Greinstraße (und weiter ...)

das himmelsgrau nistet in den baumkronen, vertreibt die vögel, läuft stämme, treppen, schächte hinauf, lärmt, pocht, heult, drückt sich durch die poren des glases, legt sich als finger und flossen über den tisch, wo es das papier zu klebriger hieroglyphenasche zerstäubt. silbern stellen sich die unterseiten der ahornblätter auf, verwandeln sich in finger, klauen, ohrringe, sturmlinien, zähne, deren licht aus dem inneren kommt und als flackern über wand und boden läuft. ein erloschener laternenpfahl neigt sich den ganzen morgen lang gegen den wolkenzug. man erinnert sich, leicht, wie im schwebtraum, irgendwo steht in einem hof ein bäumchen, das jetzt kahl sein müßte, ein naßdunkles, tropfenschüttelndes gerippe, wie es beglänzt von lampen sichtbar ist aus dem fenster oben, aus dem stummen raum heraus, der einmal ein zuhause war, ein raum voller licht und photographien und bücher und zärtlicher unordnungen, allenthalben. ein heller ton klingt auf, wenn der regen gegen das geländerrohr schlägt, ein müdes ostinato, wie von einem gelangweilten kind, das seine finger auf immer dieselbe taste des klaviers drückt, wieder und wieder.



Dienstag, 6. November 2007

Greinstraße

Milchhell zerfließende Wolken, angestrahltes Innen, ein Pfahlraum, offen für Türme und Funkmasten, und in den Bäumen wohnen wieder stille Geister, unter den Steinen klammes Geriesel. Die Raben und Elstern so schnabelschwer, daß die Lüfte sie nicht halten, und die Spatzen rufen einen Montagmorgen lang nach dem Himmel. Jedes Rad, jeder Bordstein, jede Tafel an ihrem Platz, in der Reihe, voller Voraussicht und Planung. Spiegelungen zärtlich weggedreht, emsig im Schweigen. Ein Handschuh winkt, aufgespießt auf einem Zaunpfahl, seine Finger wackeln im Pferdewind. Keine Spuren, Geleise, Bänder für Regenbögen, für Denksprünge oder Innenklarheiten.



Dienstag, 30. Oktober 2007

...

So ein Himmel, wieder kaum strukturiert, erschöpft von Nässe und den Anstrengungen, die es kostete zu regnen, nachtstunden auf und ab, still jetzt, still und voller blassem Gefädel, zu leicht fast für Vögel. Einen Glockenton bräuchte es für Licht und Sperling, die scharfe Kante eines aufglühenden Schattens, ein Zwinkern der Hundsrose. Aber die Wege sammeln weiter Dämmerungen ein, eine Zehrung den langsam stürzenden Bäumen an ihrer Schulter.



VOCES INTIMAE

... for we have some flax-golden tales to spin. come in! come in!

Kommt herein, hier sind auch Götter ...

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