Mittwoch, 2. August 2006

Die Stadt (1)

im spiegel betrachten sich
geduldig wie schwäne
die wachsfigurenlippen
ewig lächelnd, zwei etruskische götter
einander unerkannt
gewogen im gläsernen grab

kein gott aber haust
zwischen den schenkeln
jenseits der versiegelten scham
weder stempel noch staubblatt
schließen die schweißnaht

jugendfrei preßt
sich rechts an links
kein spielraum für
erektile plastikträume
am boden unter
geschwollener hüfte
vergessen die schlüpfer
schamlos das licht auszumachen
und dazwischen
ein finger, ein arm
über geschloßnen lippen, schweig
und sie schweigen

alsobbrüste verspiegelt
ein museumsstück

es fliedert, fliedert
im wartesaal
riefen nahebei

die handtäschchen, gekleidet
in plastisches rosa
und mit den fäustchen
hielten umklammert sie
schlanke hoffnungen

und auch
wieder haltestellenweise
hingekippt schlotternde milch
der schoß so hart
daß die hose zum knie
marsupialisch durchhängen
muß

da sieht man sich selbst
wie den schatten des
etruskischen gotts
das lächeln geklemmt
unter den arm
überblendet von rasendem lärm

drüben, über der ampel, wo indes
wie die schablone
eines nebentraums
die brüste abermals gerannen
zu kunstharz und vinyl



.

...

Sicher könnte man weit weniger erlebt haben als ich.
Einen Andengipfel und mehrere schöne Berge der Alpen habe ich erstiegen, in einem Orchester gespielt, als Schauspieler bin ich auf der Bühne gestanden, hab viel studiert, manches gelernt, noch mehr wieder vergessen, was, zusammengenommen, einen Schatz ergäbe.
Ich war allein in vielen Zügen, auf vielen Bahnhöfen hab ich mir die Menschen angeschaut. Ich war ein Jahr unter fremden Zungen, deren Schlag ich nachzumachen und zu verstehen lernte, dort, in der Stadt am Ende des Jahrtausends. Sah südlichen Marmor weiß und unantastbar wie Perlen im Mondlicht glänzen, während unten der Abgasgestank den Atem vergiftete.
Ich war allein und ich war unter Freunden. Ich war keusch und ich war unkeusch. Ich war ehrlich, ich habe gelogen. Oft habe ich verzweifelt und glücklich geliebt und bin oft verzweifelt und glücklich geliebt worden. Ich war still, ich war laut. Ich war klein und ich war groß.
Einmal war ich auf der andern Seite der Erde. Habe mir von einem Indianer obszöne Phrasen auf Aymara vorsagen lassen (die ich dann alle, sehr zum Amüsement des Indianers, nachsprechen mußte); lag dort krank und elend in einem erbärmlichen Hotelzimmer, neben dem Bett ein mit verschiedenerlei Exkrementen gefüllten Eimer. Genas, wurde stark, stand auf. Bestieg den Berg, fand Menschen und Wege und viele Rätsel. Speiste mit einer japanischen Soziologin allabendlich Avocados und Brot und Korbkäse. Ich lag in der Wildnis allein in meinem Zelt, und der Wind, der die Plane befingerte, hörte sich an, als strichen neugierige Tiere draußen umher. Ich war in der Nacht allein unter den Sternen. Dort bin ich ins schwarze Wasser gestiegen und hatte keine Furcht vor der bodenlosen Tiefe, in die meine Füße traten. Ich bin ins Meer getaucht mit nichts als dem bißchen Luft, das meine Lungen aufnehmen konnten, habe in der Sonne gelegen und schlaflos zitternd in eisigem Frost, während tief unten in den Tälern lautlosfern Gewitterblitze zuckten. In andern Nächten wieder deckte mich der erschöpfte Duft zweier herber Körper, die sich wundgeliebt hatten, zu, und ich schlief. Ich habe geschrieen vor Lust und vor Lust schreien gemacht. Ich habe empfangen und gegeben. Ich habe getröstet und ich habe Schmerz verursacht. Manchmal habe ich sogar etwas verstanden.
Man hätte weniger erlebt haben können als ich. Und doch ist es nicht genug.

Draußen murmeln die Gespräche. Draußen. Irgendwo da draußen, hinter Tür, Vorhang, Schleier, Flußgebraus, Wand, Mauer, Lichtkegel. Ich verstehe kein Wort. Aber es muß so köstlich sein, ihre Sprache zu sprechen, ihre Gedanken zu denken, ihre Richtigkeiten und Instinkte zu kennen und sich dort, bei ihnen frei, völlig frei und dieses Lebens teilhaftig zu bewegen. Inwendig, diese Wände? Widerstände, die überwindbar wären, wegtrainierbar, wegrationalisierbar, wegtherapierbar? Krank bin ich nicht. Einsam bin ich nicht. Sähe mich einer von außen: faktenweise alles in bester Ordnung. Warum habe ich immernochwieder das Gefühl, am falschen Ufer zu stehen, vereinsamt und ohne Zugang zur Welt, weitab von Licht und heiterem Lärm? Als ob ich etwas durchstoßen müßte, von dem ich gar nicht weiß, wo es ist, beginnt oder aufhört. Eine Grenze zu überschreiten. Eine verborgne, nachgebende, unsichtbare Grenze. Aber ich weiß nicht einmal, wo sie ist, diese Grenze. Geschweige denn, wie ich sie überschreiten sollte.

Mein Mantra: Waswillstdudennnoch? Was. Willst. Du. Denn. Noch.
Noch immer. Daß mir nur so zum Beispiel jemand ein unmoralisches Angebot unterbreitete. Einfach so. Das so unmoralisch gar nicht wäre. Das ich in den längsten Zeiten meines Daseins gar nicht hätte annehmen können oder wollen. Nur selten wäre der Gedanke seiner Verwirklichung Herr geworden und ins Wollen gemündet, wenn es denn wirklich …: Daß mir etwas Lebenssaftiges geschehen wäre. Etwas von Mittendrin, unerwartet, unerhofft. Einfach so, anstrengungslos, an-streng-ungs-los.

Warumabergeradedies?

Die Dinge und Köstlichkeiten, von denen andere erzählen, die ihnen einfach so widerfahren sind, (an-streng-ungs-los) warum geschahen sie nicht mir einfach so einmal? Warum bin ich nicht mittendrin, warum nie ein Beteiligter (denn so kommt es mir vor), warum immer nur Zuschauer. Aber wie sollte ich denn mittendrin sein, wo ich längst dort war?
Ich verstehe das nicht, und es trifft auch gar nicht zu, dennoch kenne ich das Gefühl, kenne es als Beobachtetes. Ich sehe und finde und ahne mich selbst und diese Grenze in einem anderen, oder etwas von ihm in mir: Meinem Vater. Das Muster, sein Muster, sein Vergeblichwünschen, es wiederholt sich, in verdünnter Form und tritt so wieder auf in mir. Ich habe so viel von dem gehabt, wovon er nur im Traum … und doch. Das Gefühl, es bleibt. Es ist seins. Seiner ist auch so ein Fall. Tun wollen, haben wollen, was die andern doch auch … Wildheit wollen – und seins auch: dieser Wildheit gar nicht gewachsen scheinen. Maßlos scheinen und unangemessen in diesem Verlangen. Nicht allein, daß ein Zebingemännlein nie ein Supermann sein wird, nicht einmal, wenn er sein halbes Leben in der Muckibude verbringt, sich neu einkleidet, einen coolen Gang probt und eine tiefe, sonore Stimme, nein, nicht allein das. Er wird einfach nicht einer-von-denen-sein-denen-es-zufällt. Er ist einer, dem es nicht zufällt und nicht zufallen wird, labitur et labetur in omne volubilis aevum
Was, … du?
Du????
Du ausgerechnet? Nein, mein Lieber, das vergiß mal hübsch. So einer bist du nicht, so einer wirst du nie sein. Du verkennst, wer du bist, deine Grenzen. Das ist nicht für dich. Du bist Durchschnitt. Nicht einer von den Überfliegern, Unerreichbaren, Genialen, Schönen. Nicht einer von denen, die Ernst machen.

Gib dich zufrieden. Bleibe du du selbst, ein Wicht, mit deinem Wichtdasein zufrieden. Bescheide dich. Steige weiter auf Andengipfel.

Genau. Darum geht es. Darum ist es schon immer gegangen. Ich verkenne meine Grenzen nicht. Ich weigere mich, sie zu akzeptieren.

Bonn, Ende des letzten Jahrtausends

Dienstag, 1. August 2006

Brückenstraße--Greinstraße

der sommer neigt den kopf. die pappeln rauschen am himmel entlang, das kalenderblatt hebt sich verquollen von der wand, wieder dröhnen die flieger. der greis ist aus papier. eine gehhilfe zieht ihn über die straße. ich lege den kopf in den nacken und lasse die müdigkeit in meine augenhöhlen zurücksinken. den finger an der nasenwurzel stehe ich neben dem lärm, die schuhspitzen an der pfütze, zwischen den fingern ein stück abgebissener brause und denke, warte nicht. ein schwarm spatzen fliegt auf, ein fenster knallt, und im rinnstein liegt eine tote wespe.
warte nicht, schreib.


.

Montag, 31. Juli 2006

...

Don't know a lake …

but a beautiful mountain with lush forests at its base, wet with flowers, humming with skies between the trees, brittle with the songs of countless birds translating your sweet presence into sound; and on the summit, a white tent …

The wine will be a Naoussa.


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Lehrgang

Errungenschaft des Wochenendes: Ich weiß jetzt endlich, wie Blocksatz geht.

Und rechts.

Und inne Mitte.



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Freitag, 28. Juli 2006

glaskugel

Seit einiger zeit lebe ich in einer geschlossenen welt. In sich selbst zurückgekrümmt, ist sie unendlich begrenzt, und jeder weg in ihr führt unweigerlich dorthin zurück, von wo man aufgebrochen ist. Man geht und geht und geht, und steht schließlich doch wieder vor der eigenen tür mit nichts als staub in der hand und falten im gesicht. Manchmal eine spiegelung: dann sieht es aus, als gäbe es ein draußen, als fiele licht aus einem raum jenseits herein, aus gewaltigen hallen. Aber wenn ich rufe, empfange ich nur immer und immer meine eigene stimme. Das licht flimmert ab und an, als bewegten sich Menschen hinter glas. Gemurmel dringt heran. Ein räuspern, eine stühlerücken, ein scharren von füßen. Eine tür geht. Und plötzlich ist alles still und das licht starr wie ein uhrglas. Wie damals, wenn man fieber hatte, und die stimmen aus einer ferne im eigenen ohr kamen, die schritte der mutter aus der küche.
Wie lange bin ich schon hier? Manchmal kommt es mir vor, ein leben lang. Manchmal denke ich, die auswege und geraden linien waren nur eine illusion, ein jugendlicher irrtum, ein traum. Und wo hätte ich denn schon hinwollen?
Oder habe ich nur solange gebraucht, um zum erstenmal wieder zum anfang zu kommen? Oder: Die strecken von anfang bis anfang werden immer kürzer. Es geht immer schneller: Bald stehe ich vollkommen still.
Manchmal ein traum: Ich spüre eine hand in meiner. Eine kühle, feste hand. Ich erhebe mich. Ein atemzug streift meine wange, ein mantel knistert. Das fenster steht auf. Es ist ganz dunkel. Irgendwo springt ein wagen an, und eine stimme sagt: komm.


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Seemann

Ob dieser oder ein anderer – was macht das? Er war wie alle anderen. Wie die anderen Seeleute hatte er helle Augen, salzgebleichtes Haar, sonngebräunte Haut. Wie der anderen waren auch seine Hände verhornt vom Reißen an Hanf und Tuch, und seine Schultern und Arme hart von Kraft. „Wen meinst du“ fragte daher Ada, und Solveigh verstand nicht. Wie konnte sie ihn nicht sehen, ihn, den größten von allen, ihn, den ein Licht überschwebte, ihn, dessen Augen so hell blickten, daß sie noch von hier wie Sonnen strahlten in seinem Antlitz. Keiner warf doch einen gewaltigeren Schatten aufs Deck als dieser. Wie konnte Ada nicht sofort sehen, was sie, Solveigh sah, und woran sie jetzt, in diesem Augenblick, zu leiden begonnen?


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Donnerstag, 27. Juli 2006

Steinerberghaus

Hier das zelt aufbauen? Am rand der kuppe, unter die birken geschmiegt? Mein blick geht schüchtern vor lauschender einsamkeit wieder zurück zum höchsten punkt, dem ebenen stück erde bei der panoramatafel. noch ein paar schritte unter die wipfel.
Plötzlich ein laut: Geheul wie menschliches gebrüll bricht aus den schatten, ohne ankündigung von schritten oder geraschel, in den abend eingekerbt, es klingt wie hej, houuuu, wie jemand, der nach der ferne ruft, dann wie einer, der einen hund nachahmt, und schließlich wirklich wie ein hund. ein hund? ich bin seit über einer stunde keiner menschenseele begegnet. alle wege waren leer, die feiermusik in Altenahr längst von der krümmung des berges verschattet, die fliegen das lauteste geräusch. einmal ein fuchs, rotes geflitz zwischen den buchen. Wie machen füchse? Sind es schreie wie diese? Die den abend kurz erzittern lassen, ehe sie ganz plötzlich wieder verstummen, von schweigen abgeklemmt, und eine sanft erschrockene, starre stille zurücklassen, in der nicht einmal ein zweigeknacken, ein blätterrascheln übrigbleibt –
Die blicke fliegen. Sanft krümmt sich der hügel aus dem waldkranz. Wächsern und windlos ragen die blätter ins abendlicht. Schatten spreizen hangab ihre hände um stamm und gezweig, die sonne stirbt einen rosahauch auf den weg, am fuß kitzelt das gras. Kühl will es heute nacht nicht werden. Nahebei ragt stumm das dach des Steinergerghauses zwischen zwei fichten auf. Nein, hier nicht, denke ich, nicht mit dem wilden saum blicklosen buschwerks in der nähe, im nacken. den schrei noch im leib wackele ich klopfenden herzens zurück zur ursprünglichen stelle, wo ich zwar weithin sichtbar bin, aber einen ebenso guten rundumblick habe. Savannentier, denke ich, augentier, tagaktiv. Später, im zelt, zucke ich die achseln, werde ich ohnedies nichts mehr merken von dem bunten treiben, das vielleicht, vielleicht nicht, auf der kuppe einzug hält.
Später: Die flasche leert sich mit bedächtigem schaukeln, während der himmel sich anheitert, und der mond die verschatteten dinge berührt, ansaugt, in sich aufnimmt und in gefiederte weichheiten verwandelt zurückgibt. Die lichter sind fern und nah zugleich. Kein geheul mehr. Die kuppe ist völlig ruhig, der himmel rieselt darauf nieder. Mit freudigem schauern bemerke ich den kühlen flug eines leuchtkäfers. Sehr weit weg, schon in einer anderen welt, klettern die signallichter auf der hohen acht am mast auf und nieder. Gegenüber die ortschaft Lind: das licht eines fahrzeugs, das langsam zum ort auffährt. Ich stelle mir den fahrer vor, eingeschlossen in heimatliches blech und gebrumm, der gang wechselt, der motor heult, und die nacht, die stimmen um ihn wie ein meer. links fallen die felder ins dunkel fort.
Da ist mir für kostbare augenblicke alles neu, und das alte, die müden, staubigen tage, liegen abgestreift wie der enggewordene panzer eines kerbtiers unten am wegesrand, an der kreuzung, im fingerhut, in staub und sonne, von wo sich schritte und auge und atmen schon lange weggehoben haben.


(30. Juni 2006)

...

was mag es bedeuten, wenn man im traum die nachhilfeschülerin (17 jahre, sehr klug und sehr süß) küßt, und es obendrein noch ganz toll findet?
wohlverstanden: wenn man es nicht nur im traum, sondern immer noch toll findet.
das beste war, daß sie weißblondes achselhaar trug, das feinfädig durch meine finger glitt.

Mittwoch, 26. Juli 2006

...

ich werfe die
destillate meiner sprache
hinaus
in wildes land
ich fülle meine seufzer
in dunkle flaschen
ich wickele den durst
meiner haut in briefpapier
ich werfe die post
eines schiffbrüchigen an
die ufer taubstummer nächte.
jeden morgen
wringe den gestrigen
abend ich aus
mit der kraft
gesammelter müdigkeiten
ich schleudere von mir
winzig vor zorn
was abgetropft ist zwischen den fingern
der himmelhohen angst
ich will hingehen und
ihnen die blicke aus den augen reißen
die ungesagten worte von
ihren zungen schneiden
ihre unterlassenen berührungen aus
ihrer haut abbluten lassen
ihren frechen schatten von
ihren füßen scheren
ihr antlitz tauchen ins eigene spiegelbild
bis es erstickt in den eigenen lippen
ich will wandern und endlich
mich verbrennen am mond
mir narben schnitzen lassen
von der wilden ackerwinde
mich blenden lassen
von den fledermäusen
mich schänden lassen
von einer keuschen gazelle
mir die wahrheit sagen lassen
von einer lügenhaften sphinx
trunken vom wasser
will ich die scheiben zertrümmern
die gürtel aufschneiden
die falschen rosen
im ausguß ertränken
ich will mein haus von mir abstreifen
meine photographie verbrennen
mein geld in der erde vergraben
mein brot den dämonen zu fressen geben
meine augen dem silberspiegel
und meine haut dem priester
der Astarte
gehäutet
verbrannt
geschändet
und verschnitten
schleudere ich
meine worte
hinaus
in ein wildes land.



.

Dienstag, 25. Juli 2006

...

ich warte immer noch, aber je länger ich warte, desto weniger weiß ich, worauf. auf sternschnuppen. auf die andere seite des mondes. auf die kaiserliche botschaft. auf einen schatten vor meiner tür. auf mich selbst. auf die vergangenheit. ich warte um des wartens willen, was sonst ist zu tun. ich hab vergessen, was ich wollte. ach so, ja. das telephon. das schweigt immer noch, ich laß es schweigen, ich hör gar nicht mehr hin. es muß allein damit klarkommen.
ich fühle mich nicht mehr verantwortlich.

ich fühle mich nicht verantwortlich und suche in meinem gesicht nach spuren. ich schneide eine grimasse. ich denke, ich kann mich nicht in mich hineindenken. geschweige denn mich mit den augen eines anderen denken. ich bin eine nullstelle, der punkt, an dem die welt stillsteht, der punkt, von dem alles ausgeht. der punkt, der die welt aus sich entfaltet, und zu dem sie zurückkehrt, um dort zu verschwinden, ohne selbst etwas gewesen zu sein.

ich wünsche mir gespräche. ich wünsche mir, daß mich wer aufschlägt und mir vorliest aus mir. ich wünsche mir, daß ich meinen mantel ausziehen, den stock in die ecke stellen, mich an den tisch setzen darf. und dann legt mir wer die hand auf den kopf und sagt mir, alles ist gut. und alles ist gut.


.

Freitag, 21. Juli 2006

...

es ist wieder, als wäre nichts gewesen. ich habe das ungute gefühl: das wird nicht das letzte mal gewesen sein.

die uhren sehen weg und gehen stumm ihrer wege. wohin, weiß ich nicht. wahrscheinlich vorwärts.

Marsch!



.

...

was tun also mit dem tag

hefte ihn ab
zu den übrigen
du weißt schon.



.

Montag, 17. Juli 2006

keine erdbeeren

wieder einmal mich anhalten zu einem sieh-was-da-ist.
aber erst einmal: abschiede. eine handvoll sand zusammenraufen und emporwerfen. die finger im vorbeigehen durch die hecke gleiten lassen, sagen: hier war ich. hier war es. die verstreute herde der blicke wieder einsammeln. nach hause gehts, das herz voll mit fremdem, die hände gelb vom staub, das letzte, was blieb. wieder muß ich es aufgeben. wieder ist eine geschichte vorbei, die nie zu ende erzählt wurde. die abende schaukeln in der wärme, die kinder sind am meer oder im freibad, sie ist fort, und ich denke: jetzt kommt richtig der sommer. sieh, was da ist.
später wird das „der sommer“ heißen, „wo ich keine erdbeeren aß“.

Freitag, 14. Juli 2006

Atalante (18)

nie war eine hand so weit entfernt wie deine auf der tischwüste. vorgestern wieder. ich sitze in einem kameragehäuse. klick: deine finger sind lang, und so ebenmäßig schmal, daß es scheint, als würden sie breiter um den kleinen nagel, der vor der fingerkuppe noch ein klitzekleines stück zurückbleibt. kühl und sanft stelle ich mir diese berührung vor, wie der lautlose fall einer tierpfote. klick: manchmal trägst du einen rock, deine knie treten kaum hervor, rund sind sie, die waden glatt vom vielen laufen, das dir deinen namen eintrug, und du rasierst dich, stelle ich fest. klick: eine sommersprossige sprödigkeit auf der wange, neben deiner kleinen, breitflügeligen nase, spröde, und man weiß nicht, war es die sonne, der wind, oder übriggebliebenes rouge, ein hauch nur. klick: die wimpern stets ein bißchen getuscht, die lider beschattet. das ohrläppchen so kurz, daß es in die haut überm kiefergelenk eingewachsen scheint.
und deine zweiflügel, stets bezähmt und gefaltet verstaut unter dunklem stoff, verbotene schwingen. einmal vorgebeugt ein tor zwischen wippend hängender haut, dunkelgärtliche gefahr und ein augenblick hellwacher echtheit. mammalisches erschrecken. klick: du drehst dich nach deiner tasche, und ich seh auf deiner schulter den zitternden knochen des rehs hervorstechen, wild vor hunger. deine zähne zerschneiden dein reden. mit vollem mund kündigst du an, daß du was sagen willst, und ein glottales mh! geht deinem schlucken, deiner stimme voraus. wenn du lachst, verengen sich so herzlich deine augen. dein hallo und dein bis dann sind immer leichthin. ihr klang schmerzt so sehr, daß ich es immer wieder von vorne hören will. das hallo mehr als das bis dann. bis dann. bis wann, frage ich mich jedesmal.
manchmal kneifst du abwesend die augen zusammen. ich weiß nicht, ob du immer ganz aufmerksam bist. du sagst immer „wie bitte?“, hebst die brauen und neigst den kopf zu mir hin. ich weiß, ich spreche leise. wenn du spöttisch schauspielernd die lippen vorwölbst, ein rund bildend, das leicht zu seite abfällt, dazu so ein bißchen mit dem kopf wackelst, durchrieselt es mich. so machtest du es mehrmals, als wir uns an christihimmelfahrt einmal trafen, ich hatte es noch nicht an dir gesehen vorher, damals als der sommer noch fern war, und ich nicht ahnte wie fern.


<<infra

Freitag, 30. Juni 2006

Atalante (17)

… und dann wird sie die Schultern heben, die Handflächen mir zukehren, die Stirn krausziehen und sagen, Sieh mal, Hippomenes (und dafür liebe ich sie noch mehr: Sie wird die Vokativform verwenden), sieh mal, ich hab dich ja furchtbar gern … –, und wird dann, Vokativ oder nicht, das Wort hinzufügen, jenes schlimme Wort, Aber …
Und ich werde sie unterbrechen und sagen, ja, Atalanta, ich habe dich auch furchtbar gern, ich hab dich wahnsinnig gern, und dann werde ich einen Augenblick schweigen und versonnen nicken, immer an ihre braunen Augen geheftet, und kurz bevor ich mich endlich abwende und fort bin, werde ich hinzugefügt haben:
Nur aber ohne Aber, Atalante …


>>supra
<<infra

Dienstag, 27. Juni 2006

Atalante (16)

Wenn ich mir vorstelle, daß ich das, was mich bewegt, jemandem sagen will und mir dann Atalante in den sinn kommt, als der mensch, der mir am zwingensten dafür scheint, daß ich es ihm erzähle, und mich dann dieses weihegefühl durchströmt, warm und voll stiller hoheit, so daß ich gar denken möchte, ich liebe sie –
was ist das? was ist das denn für ein gefühl, jemandem gegenüber, der sich noch durch gar nichts hat auszeichnen können, der sich noch gar nicht hat bewähren können, der noch durch keine gemeinsame geschichte geläutert wäre? Es gibt keinen grund für ein solches gefühl. Ist es vielleicht gerade deshalb so – groß?
Oder E. oder C. Was war es? Und was ist davon übrig? Was verspreche ich mir davon, es ihr zu erzählen, was mich heute so gefreut hat, was verspreche ich mir davon, sie zu fragen, ob ich lehrer werden soll? Einen rat? Oder stelle ich mich damit nur vor sie hin und sage, sei mir nah, bitte. Suche ich, weit mehr als eine antwort, ihre zuhörende nähe, indem ich mich als fragender öffne vor ihr? indem ich ihr mein ratsuchen anbiete, auch wenn sie mir diesen rat gar nicht geben kann?
Und warum aber vor ihr? Warum flößt sie mir, schon beim gedanken, ein solches vertrauen ein? Ich habe es doch schon einmal so ähnlich erlebt, als ich so aufgebracht war nach dem referat und dem treffen entgegenfieberte, um es ihr zu erzählen, und da war es, nein, keine enttäuschung, aber: eine ernüchterung.
Wenn ich nun die sehnsucht nach einer solchen frage verspüre, dann hat das doch nichts damit zu tun, daß ich Atalante auch begehre. Oder doch? Und dieses begehren, was hat es damit zu tun, daß ich den wunsch verspüre, ihr eine haarsträhne hinters ohr zu streichen, und was hat die haarsträhne damit zu tun, daß ich gerne mit ihr in einem zimmer sitzen würde, sommers, aus dem das licht langsam davongleitet, bis nur noch der schimmer auf ihren augen mir sagt, wo ihr gesicht ist? Daß ich dann gerne mit dem zeh ihren nackten knöchel anstupsen möchte und sehen, wie der schimmer sich rührt? Und was hat der schimmer damit zu tun, daß ich ihr, während sie noch schläft, einen kaffee ans bett bringen möchte, morgen für morgen, und was hat der Kaffee wiederum damit zu tun, daß ich mir jetzt wünsche, ihr von meiner freude zu erzählen? Und von dem rat, den ich von ihr vielleicht gar nicht hören will, und was hat meine frage und ihre antwort schließlich mit dem lächeln zu tun, von dem ich mir wünsche, es möge auf ihrem gesicht aufleuchten, ehe sie antwortet?


>>supra
<<infra

Montag, 26. Juni 2006

Atalante (15)

da wär ein gewürzladen, von einer feinen hecke versponnen, goldsanfter draht ginge darum in wirbeln, büschelchen blieben zwischen ringfinger und kleinem finger haften, und die sonne ginge unter und glänzte im laub, auf den stiegen, den buchten, den verfaltungendes schattigen geländes. nebenan gäbe es bonbons und buttrigen karamel, ganz in der nähe warme brötchen mit milch, und der strand, er wäre nie weit. ein feuchter finger im wind gibt die richtung. mancherorts ein knistern wie sand und disteln, wie stroh, und manches wäre aus gras und würde kitzeln im ohr und in der nase, ja, und anderes wäre wie pflaumen und paßte genau in die hand, und schmiegte sich zweifach, glatt, kühl und warm zugleich, pflaumen mit zimttellern, umwuchert von keuscher rauke, und unweit ein traumbekannter abhang, einstülpung und gang und ein flüstern von verborgenem, an seinem fuße herabgekollert zu finden, dort wo so oft der abend ein tuch vor die blicke gehängt hätte. aus der ferne würde waffelgeruch herüberwinken, und eine gekrümmt zu tal fließende abkürzung gäb es auch, über hügel aus süßem hafer, mit nacht zwischen den halmen, einem angewinkelten graben aus nacht, die grätsche eines hohlwegs lang, und hinauf und hinab, da käme man außer atem, da ließe man sich zeit, bis die fremde wieder so vertraut wäre, wie nur die fremde vertraut sein kann. keinen der wege würd ich kennen, alle aber hätt ich wiedererkannt. so schmale flügel. schlucken im hals. kantige salbschale, ein griff in weiche sparsamkeit, in knappes schwellen, die hand würde sich füllen mit härten, von wärme umspannt, ja, so wär es, warm wärst du, du würdest atmen, und aus der nähe verschwömmen die sommersprossen, würden aus einer zwei, aus zweien vier, aus vieren acht, die strebten langsam auseinander. dann würden die nasen sich berühren, seitlich, an bebender schwinge, und kurz bevor ich die augen schlösse, zählte ich wieder eins, zwei, vier. einatmen, lange, und nie mehr ausatmen, um es nicht mehr hergeben zu müssen, während die Hände sich auflösten in deinem haar, und in deine schultern wüchsen, und dein geruch, er wäre nach nüssen und tee, sehr herb, mit einem hauch vanille, und ein bißchen buttrig, wie warme waffeln mit schmand.


>>supra
<<infra

Freitag, 23. Juni 2006

Greinstraße

"als anmut auf unseren jungen gesichtern ..."

ich bewundere an dir dieses bewußtsein der eigenen jugend, und stelle ohne bedauern fest: so jung bin ich nie gewesen, daß ich es gemerkt hätte.


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VOCES INTIMAE

... for we have some flax-golden tales to spin. come in! come in!

Kommt herein, hier sind auch Götter ...

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